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Offener Brief der Berliner Studierendenschaften gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts

Hier findest du den offenen Brief des RefRats HU und der ASten BHT, FU und TU zum finalisierten Gesetzesentwurf zum Ordnungsrecht vom 17.06.2024.

[Hier klicken für den offenen Brief im PDF Format]

Sehr geehrter Herr Hopp,
Sehr geehrter Herr Schulze,
Sehr geehrte Frau Neugebauer,
Sehr geehrter Herr Grasse,
Sehr geehrte Mitglieder des Wissenschaftsausschusses,
Sehr geehrte Mitglieder des Abgeordnetenhauses,

wir begrüßen zunächst, dass der Wissenschaftsausschuss die Bereitschaft gezeigt hat, sich im Gegensatz zum Berliner Senat in angemessener Ausführlichkeit mit der Wiedereinführung des Ordnungsrechts auseinanderzusetzen. Gleichzeitig stellen wir enttäuscht fest, dass unser heftiger grundsätzlicher Protest gegen dieses Gesetzvorhaben [1] kein ernsthaftes Gehör gefunden hat.

Die Koalitionsfraktionen haben nun einen finalisierten Gesetzentwurf zur Beschlussfassung in der Wissenschaftsausschuss- und Plenarsitzung vorgelegt, der trotz Einschränkungen die Gefahren fortschreibt, vor denen die Studierendenschaften gemeinsam mit vielen anderen Hochschulmitgliedern von Anfang an gewarnt haben. Der Gesetzentwurf öffnet nach wie vor einer Gesinnungskontrolle und politischen Sanktionierungen von Studierenden Tür und Tor. Darüber hinaus wurde er in derselben Woche eingebracht, in der Versuche der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) öffentlich wurden, kritischen Wissenschaftler*innen Fördermittel zu entziehen [2]. Er steht damit im Kontext von Kompetenzüberschreitungen und Angriffen auf die Freiheit von Wissenschaft und Lehre, die klar machen, was CDU-Hardliner mit diesem Gesetzvorhaben nach wie vor beabsichtigen.

 

Die Änderungen im aktualisierten Entwurf des Gesetzes sind wesentlich zu kurz gegriffen und räumen die Gefahr, die von ihm ausgeht, explizit nicht aus. Wer unsere detaillierte, juristisch analysierende Kritik ernst nimmt, erkennt, dass sich am repressiven Grundcharakter des geplanten Ordnungsrechts nichts geändert hat [3].

Besonders die definierten Ordnungsverstöße bleiben gefährlich vage: Die Einschränkung von Satz 1 Nummer 1 auf „körperliche Gewalt“ ist dahingehend hinfällig, dass auch Sitzblockaden und ähnliche Aktionen in aktueller Rechtsprechung wiederholt als körperliche Gewalt gewertet werden. Es ist so weiterhin möglich, friedlichen studentischen Protest mit dem neuen Hochschulgesetz zu ahnden. Dass die Wissenschaftssenatorin ihre Rechtsauffassung zu dem – auch in der Ausschusssitzung sehr kontrovers diskutierten – Gewaltbegriff des Gesetzentwurfes nicht etwa mit einem Gutachten ihrer Rechtsabteilung, sondern mal eben mit einer schnellen Google-Recherche begründet (vgl. Wortprotokoll des Wissenschaftsausschusses vom 15.04. S. 39), stimmt in diesem Zusammenhang besonders nachdenklich: Ist das die juristische Expertise, die Sorgfalt, mit der in Berlin Gesetze gemacht werden? Schlagen CDU und SPD die dringenden Sorgen und den heftigen Protest der Berliner Studierenden so leichtfertig in den Wind?

Dass unklar bleibt, in welchem Verfahren Ordnungsmaßnahmen bis hin zur Zwangsexmatrikulation ausgesprochen werden können, ist ein Armutszeugnis. Die Koalition überlässt es den Hochschulen, diese komplexe Frage selbst zu klären. Dass sie diese Verantwortung abgibt, ist zwar angesichts der Unmöglichkeit, diesen grundrechtsinvasiven Prozess sinnvoll auszugestalten, nicht verwunderlich - das macht es aber nicht weniger verantwortungslos. So ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Hochschulen ihre Leitung mit der Exekutivmacht ausstatten, Studierende in Eigenregie auszuschließen - ohne jede Beteiligung eines Ordnungsgremiums.

Besonders eindrücklich bleibt uns die Sitzung des Ausschusses für Wissenschaft und Forschung vom 15.04.2024 im Gedächtnis, bei dem der Gesetzentwurf unter Einbeziehung verschiedener Expert*innen aus den Berliner Hochschulen ausführlich diskutiert wurde. Hier wurde deutlich, dass wir mit unseren Sorgen und unserem Protest nicht allein stehen: Die breite Mehrheit der Expert*innen teilen die Sorgen der Studierenden. Bezeichnend ist auch, dass kein*e einzige*r der Anzuhörenden Expert*innen aus den Universitäten die Wiedereinführung des Ordnungsrechtes als hilfreiche Maßnahme in der Bekämpfung und Prävention von antisemitischer und anderer diskriminierender Gewalt hervorhob. Im Gegenteil zeigte die Mehrheit der Anzuhörenden auf, inwiefern dieses Gesetz hierfür fundamental ungeeignet ist und verwiesen stattdessen auf die Notwendigkeit echter Präventionsmaßnahmen statt repressiver Law-and-Order-Politik.

Ihren Äußerungen zufolge, Herr Grasse, scheinen auch Sie selbst gar nicht von der Wirksamkeit des Gesetzes überzeugt zu sein. Schließlich lautete ihre eindringlichste Begründung für die Notwendigkeit des Gesetzentwurfes im Wissenschaftsausschuss vom 15.04.: „Wir können ja nicht nichts machen“ (Wortprotokoll S.20).

Es mutet nahezu albern an und macht uns fassungslos, dass die große Koalition dennoch nicht von diesem gefährlichen Irrweg abzuweichen scheint. Das wird der Ernsthaftigkeit des Themas nicht gerecht. Denn Sie können stattdessen ja tatsächlich etwas gegen Diskriminierung und Gewalt tun - die sehr konkreten Vorschläge einiger Anzuhörenden scheinen Sie aber nicht ernst zu nehmen.

Stattdessen wird die geplante Novelle des Ordnungsrechts direkt dazu führen, dass Betroffene von Gewalt und Machtmissbrauch entmutigt werden, Hilfe einzufordern und Täter*innen zu melden. Denn die Betroffenen selbst müssen fortan fürchten, unter dem Vorwurf der Verleumdung oder Beleidigung der Täter*in mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen sanktioniert zu werden. Die Änderungen in Satz 1 Nummer 3 sind nicht geeignet, dies zu verhindern. Die Frage, was ein erheblicher Schaden für die Hochschule sein soll, wird vollkommen offengelassen: Auch das Öffentlichmachen der Tatsache, dass sich an einer Hochschule über Dekaden ein übergriffiger Dozent frei betätigen konnte, kann einer Hochschule erheblich schaden. Wir müssen dies in aller Deutlichkeit sagen: An jedem Fall eines übergriffigen Dozierenden, der statt mit Konsequenzen für den Täter mit Ordnungsmaßnahmen gegen solidarischen Protest beantwortet wird, machen sich diejenigen von ihnen, die für diesen Gesetzentwurf stimmen, mitschuldig.

Enttäuschend ist auch, dass der Änderungsantrag es gar nicht erst versucht, sich mit unserer Kritik an den Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung auseinanderzusetzen. Der Gesetzentwurf führt auch in geänderter Form weiterhin dazu, dass sensible Daten aller involvierter Studierender verarbeitet werden - auch die Daten der Opfer aus Ermittlungsakten. Das ist das Gegenteil von Betroffenenschutz.

Wenn auch einzelne Änderungen das Gesetzvorhaben entschärfen, bleibt der Großteil der Änderungen kosmetisch. Dieses Gesetz bietet keinen Schutz, birgt die reelle Gefahr einer weiteren autoritären Diskursverschiebung und kriminalisiert studentischen Protest und studentische Teilhabe. Wir fordern sie inständig dazu auf, dieses Gesetz abzulehnen.

Unterzeichnende Studierendenschaften

AStA Berliner Hochschule für Technik (BHT)
AStA Freie Universität Berlin (FU)
RefRat (gesetzl. AStA) Humboldt-Universität zu Berlin (HU)
AStA Technische Universität Berlin (TU)

 

Weitere externe Mitunterzeichnende:

freier zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) e.V.
TV Stud Berlin
ver.di (Bezirk Berlin / Fachbereich C)
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) BERLIN
DGB Hochschulgruppe Berlin
Hochschulgruppe Campusgrün FU Berlin
GRÜNE JUGEND Berlin
Linksjugend ['solid] Berlin
Internationaler Jugendverein Berlin
Studierendenkollektiv Berlin

[Deine/ ihre Institution möchte auch mitunterzeichnen? Schreibt eine Mail an [email protected]]

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[1] https://lak-berlin.de/node/1015
[2] https://daserste.ndr.de/panorama/Als-Reaktion-auf-Kritik-Bildungsministerium-wollte-Foerdermittel-streichen-,watzinger102.html
[3] https://www.refrat.de/docs/hopo/LAK_Statement_zur_17_BerlHG_Novelle.pdf

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  • erstellt:17.06.24, 15:39
  • geändert:09.07.24, 11:57